Hans Peter Ming v/o Custos, 12.10.1938-05.11.2023

10.11.2023 - Bernhard Zweifel v/o Phag

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Nachruf

Dr. iur.

Hans Peter Ming v/o Custos

GV Angelomontana, AKV Kyburger

12.10.1938 - 5.11.2023

 

 

Nun lebt Custos für uns nur noch in unserem Gedächtnis. Ihm mit wenigen Worten gerecht zu werden, ist schwierig. Mir kommen drei Begegnungen mit Custos in den Sinn, die für ihn charakteristisch waren. Ich war junger Aktiver, vielleicht gar noch Fux, als Custos mit zwei, drei Kollegen – darunter auch StVern – den Stamm im Schützengarten aufsuchten. Es war damals gerade «Pushkin» das In-Getränk. Auf «Heya Pushkin» flogen die in einem Zug geleerten Gläschen an die Wand – nein, nicht an irgendeine, sondern gegen das schöne Wandbild, so dass uns nachher Wilhelm Tell mit hohlen Augen anblickte. Auf die Vorhaltungen des alten Wirtes Schumacher versicherte man ihm, dass anderntags alles geregelt werde. Immerhin war so eine Verlängerung der Polizeistunde verwirkt. Custos fragte mich, ob ich Autofahren könne, was ich bejahte. So stiegen wir in einen VW-Käfer und fuhren irgendwo hin. Ich am Steuer, aber nur weil das Risiko allfälliger Probleme für einen armen Studenten als überschaubar eingeschätzt wurden. Beim Parkieren ragte ein Laternenpfahl etwas weit in die Strasse hinaus und kam so dem vorderen Kotflügel in die Quere. Custos nickte das weg mit der Bemerkung: «Mach Dir deswegen keine Sorgen.»

Eine zweite Begegnung fand unmittelbar nach seiner Pensionierung – ich war gerade kurz Kassier des Altherrenverbands – in seinem neu bezogenen Büro in der Nähe des Bellevues statt. Nach einem anregenden Gespräch meinte er zum Abschied: «Wenn es wegen des Kyburgerhauses Probleme gibt, kommst Du wieder vorbei».

Unsere letzte Begegnung war anlässlich einer GV des Altherrenverbands. Kurz vor Beginn der Sitzung wurde plötzlich Custos – schon schwer gezeichnet von seiner Krankheit - von seiner Frau Marianne zu meinem Platz geführt mit der Bemerkung, er wolle neben mir sitzen. Die Geschäfte liessen nur kurze Wortwechsel zu, und nach der GV holte Marianne Custos sofort wieder ab. Diese Episoden können natürlich einem so bedeutenden Menschen und Freund nicht gerecht werden.

Im «Goldenen Buch» schreibt Custos: «Geboren wurde ich am 12. Oktober 1938 in Kastanienbaum bei Luzern. Im Jahre 1950 übersiedelten meine Eltern nach Zürich, wo sie das später auch den Kyburgern wohlbekannte Zunfthaus «Zu den vier Wachten» übernahmen.» Nun weiss ich hier natürlich nicht, was zuerst war - das Huhn oder das Ei. Jedenfalls war zu meiner Zeit das Elternhaus von Custos allen wohlbekannt: hat nun Custos den Weg zu den Kyburgern gefunden, weil diese regelmässig im Restaurant Anlässe durchführten, oder wurden dort ihre Ausschweifungen wegen Custos geduldet. Immerhin waren Kyburger auch in der Wohnstube der Eltern Ming willkommen, allerdings ohne deren Anwesenheit. Galten doch die Besuche zu später Stunde Custos’ Schwester Beata.

Weiter schreibt Custos: «Wegen einer Lungenkrankheit verbrachte ich die Jahre 1948/49 in Sanatorien in Ägeri und Davos. Dies liess auch den Eintritt in eine Alpine Mittelschule ratsam erscheinen.» Engelberg, damals eine der «Kaderschmieden» der katholischen Gesellschaft, verliess er 1958 mit der Matura Typ A. Dies trotz permanenten Schwierigkeiten mit der Hausleitung, die sein Temperament kaum zu bändigen wussten, und trotz Ablenkungen durch die Mitgliedschaft bei der Angelo Montana und den damit einhergehenden Chargen.

In Zürich immatrikulierte sich Custos an der iuristischen Fakultät der Universität Zürich, die er 1968 als Dr. beider Rechte verliess. Vor die Wahl gestellt, den Welfen (in seinen Worten: ein Verein), den Neu-Welfen (ein Club) oder der Turicia (eine versnobte Gesellschaft) beizutreten, entschied er sich für die Akademische Kommentverbindung «Die Kyburger», denen er sein Leben lang treu blieb. Das von Engelberg mitgebrachte Feuer, sich für studenten- und gesellschaftspolitische Anliegen einzusetzen, brannte weiter. So engagierte er sich z. B. in der Verbindung als Jubelsenior (1962), im Schw. St. V. als Mitglied des Zentralkomitees für die Zentraldiskussion und später Mitglied der Geschäftsprüfungskommission. Im Militär diente er als Hauptmann der Gebirgsinfanterie. Man sagt, dass seine militärischen Ambitionen zunichte gemacht wurden durch seine erste Heirat 1966 mit Christina Ostrowska, deren polnische Wurzeln der Innerschweizer Militärhierarchie höchst suspekt waren.

Das Studium bereicherte er mit einem Auslandsemester in London. Er unterbrach es 1962/63 für eine vollamtliche Tätigkeit als Präsident des Aktionskomitees «Wahret die Freiheit». Beruflich profitierte er von einem Praktikum in der Rechtsabteilung der SUISA.

Seine vielseitigen Begabungen und Interessen konnten natürlich den Kyburgern nicht verborgen bleiben. Und so heuerte Custos nach dem Studium bei der Führungsriege der SIKA mit Song, Klex,Kran, und weiteren StVern als Direktionssekretär an. Der SIKA diente er dann unter anderem als Delegierter des Verwaltungsrats, als Direktionspräsident der SIKA-Finanz AG und ab 1999 als VR-Präsident der SIKA Holding AG. Daneben engagierte er sich auch im Verwaltungsrat der Swiss Steel und dem Schweizerischen Bankverein, später UBS AG, sowie beim «Verband Christlicher Unternehmer» oder bei der «Beratenden Kommission für internationale Entwicklung und Zusammenarbeit». Dabei blieb er immer seinen ethischen Werten und Grundsätzen treu. Die Sonntags-Zeitung vom 24. August 1997 übertitelte ein Interview mit Custos: «Täglicher Spagat zwischen Cash-Flow und Nächstenliebe». Sein Verständnis von Führung als «Respekt vor dem einzelnen Mitarbeiter und die Sorge um die Umwelt» waren für ihn keine Floskeln. Das bezeugte der tosende Applaus mit dem Custos, schon gezeichnet von seiner Krankheit, bei seiner letzten Teilnahme an der GV der SIKA von den Aktionären empfangen wurde.

Dieses anspruchsvolle berufliche Engagement liess seine Teilnahme an den Aktivitäten der Kyburger spärlicher werden. Und doch hat er das Auftreten der Altherrenschaft bis heute geprägt. Das Biertönnchen war ihm – vielleicht als Symbol des geruhsamen Philistertums – ein Graus. Und so bezahlte er jedem, der diesem Unding abschwor eine Biedermeiermütze. Nach Google die Kopfbedeckung junger Studenten – und der Junggebliebenen.

Kurz nach seinem Rücktritt bei der SIKA erlitt Custos Schlaganfälle, von denen er sich nie mehr ganz erholte. Seine Krankheit zwang ihn, seine vielseitigen Tätigkeiten loszulassen. Wir müssen nun Custos loslassen. Es gilt, vom treuen Lebensfreund Abschied zu nehmen. Er ruhe in Frieden.

 

Bernhard Zweifel v/o Phag